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Wahrzeichen unserer Ortschaft

Der Turm von Opfikon
Als vor etwa 20 Jahren einige Vertreter unserer Gemeinde mit Stadtrat Baumann, dem damaligen Leiter der zürcherischen industriellen Betriebe, zu verhandeln hatten, erzählte er, zusammen mit seiner Frau wandere er alljährlich einmal oder mehr durch den Opfiker Wald nach Bassersdorf. «Und jedesmal habe ich grosse Freude beim Anblick des heimeligen Dörfchens Opfikon mit der prächtigen Kirche inmitten der alten Häuser. Dieser Kirche müsst Ihr Sorge tragen.» Er fiel aus den Wolken, als man ihm sagte, wir hätten ja gar keine Kirche, nur einen Turm. Der Irrtum ist indessen verständlich; auf Distanz gesehen liegt die Annahme nahe, dass eines der breit ausladenden Dächer die Kirche beherberge. Das Kompliment aus dem Stadthaus aber freute uns doch mächtig, denn nicht wahr, wir sind ja alle selber ein wenig in unsern Turm verliebt. Er gibt dem Dörfchen das Gepräge und wirkt als Wahrzeichen für unsere ganze Gemeinde. Darum hat man ihm auch seit jeher immer wieder opferfreudig die nötige Pflege angedeihen lassen, und deshalb mag man uns auch verzeihen, wenn wir seine Geschichte hier etwas weitschweifig schildern.

Warum nur ein Turm?

Teil einer Kapelle
Wie im Kapitel über die Klotener Kirche erwähnt, war der Turm früher Teil einer Kapelle, welche schon im 13. oder 14. Jahrhundert bestanden haben muss, als die Ritter von Opfikon der Überlieferung nach ihren Bauern einen jährlich zu entrichtenden Zehnten erliessen unter der einzigen Bedingung, «dass man ihnen in der dasigen Capelle die Mette läute und ein ewiges Lichtlein brennen lasse». Pfarrer Brennwald von Kloten bemerkte später dazu : «Diese Ewigkeit währte bis zur Reformation.»

Der strahl in die kapellen geschlagen
Wie der genannte schreibfreudige Pfarrherr, von welchem in dieser Schrift mehrfach die Rede ist, berichtet, hat am 1. September 1761 «der strahl in die kapellen zu Opfiken geschlagen und das thürnlein übel zerrissen», so dass es neu aufgebaut werden musste. Hiezu hatte gemäss Befehl des Landvogtes die Gemeinde alle erforderlichen Materialien herzuführen und das Bauholz zu liefern, «worfür dann an der zeittafel das gemeindwaapen stehen möge».

Dorfbrand
Drei Jahre später aber wurde der Turm samt der Kapelle ein Opfer des Dorfbrandes, von welchem im Kapitel «Zeiten der Not» die Rede ist. Nach dieser Katastrophe verzichtete man auf den Wiederaufbau der Kapelle, da sie ja seit der Reformation ihrem kirchlichen Zweck entfremdet war. Den Turm dagegen wollten die Opfiker nicht missen, wohl vor allem wegen Uhr und Glocke. Seit dieser Zeit also steht der Turm allein. Seltsamerweise hat sich die Bezeichnung «Kapelle» auf ihn übertragen, wobei ihn die Opfiker aber, was noch mehr überraschen mag, nicht etwa «Kapäll», sondern «Chappele» mit Betonung auf der ersten Silbe nennen.

Die Geheimnisse des Knopfes
Zuoberst auf dem Dach unseres Turmes, direkt unter der Wetterfahne, thront, wie bei derartigen Bauten allgemein üblich, eine metallene Kugel, der «Knopf». Nach altem Brauch werden darin Schriftstücke aufbewahrt, welche einer spätem Generation über das Schicksal des Gebäudes und auch über Geschehnisse in der engern und weitern Heimat Kunde bringen sollen.

Denkschrift
Eine solche Denkschrift liess Pfarrer Brennwald auch der Kugel des wieder aufgebauten Turms einverleiben:
«Da man zellete nach Christi unsers L. Heilands geburt 1764 Jahre, den 9. Aprilis abends um halber neun uhren, verbrane, durch eine schwere heimsuchung Gottes, dieser kapellen-thurn, zeit, glöklein, und feürsprützen, samt eilf firsten, dryen trotten, acht stuk vihe und grossem gut, alles nidrig auf 14576 gulden geschätzet. Die beschädigten waren Heinrich Bossart; Hs. Jacob Meyer, Schulmeister; Jacob und Heinrich die Wintschen gebrüdere ; Heinrich Güttinger, der schumacher; Hs. Heinrich Güttinger, alt wächter ; Peter und Ulrich die Hindermeisteren, gebrüdere ; Rudolf Güttinger, schumacher; Felix Eberhard, küffer ; Heinrich Altorfer ; Rudolf Hindermeister, der wäber ; Jacob und Geörg die Hindermeisteren, gebrüdere ; Felix, ehgaumer, und Ulrich die Meyeren, gehrüdere; Felix Wintsch ; Hs. Jacob Wismann, Landrichter und Kapellenpfleger; und Johannes Güttinger, schneider ; alle burger von Opfiken.
Innert jahrs frist stuhnden, durch Gottes segen, durch kräftige recommandation Herrn Johann Jacob Hirtzels, des damahls Regierenden Hrn. Landvogts auf Kyburg an unsere Herren und Oberen, durch reiche beysteür der statt und viler gemeinden der landschaft, und durch dapfere arbeit der handtwerks-leüthen und burgeren, wider eilf firsten auf dem platz, alle schöner als sie zuvor waren.
Disem kappellen-thürnlein aber. . . wurde der fahnen aufgestekt dinstags den 10ten 9bris 1764.

Wunschgebett
Herr Gott, durch deine gnaden hand
Bewahr diss ort, ja stadt und land
Vor unfahl, krieg und feürs-noth,
Erdbeben, pest und theürem brod!
Straf nicht so bald, verschon villmehr!
Vergib uns unsre Sünden schwer
Und nimm uns auf nach diser zeit
Zur himmelsruh in ewigkeit.
Amen.»

So berichtet und bättet Hs. Ulrich Brennwald, der Zeit Pfarrer zu Kloten und Kammerer des Ehrw. Regensperger Kapitels.

Das nächste Schriftstück
Das nächste der Kugel anvertraute Schriftstück stammt aus dem Jahr 1822. Es ist von Pfarrer Waser verfasst und lautet:
«Samstag Abends den 15t Brachmonat, im Jahr Christi 1822 zwischen 8 und 9 Uhr ward, bey einem heftigen Gewitter, die Fahnenspitze der Capelle zu Opficken vom Blitz getroffen, der, dem Himmel sey Dank! nicht entzündete, aber mehrere Balken zersplitterte, die Dachziegel mit solcher Gewalt wegschleuderte, dass in dem benachbarten Bosshardischen Hause mehrere Ziegel auf dem Dach und einige Scheiben in den Fenstern der Wohnstube zerschlugen.
Die Mauern der Capelle wurden zum Theil zerrissen und so erschüttert, dass bey näherer Untersuchung die Nothwendigkeit einleuchtete, ein ganz neues Gebäude aufführen zu lassen. Durch die gütige Fürsorge des hochverehrten Herren Oberamtmann Wehrlis in Embrach wurde aus der Brand-Assekuranz-Casse 800 Gulden gegeben und durch die unverdrossene Verwendung der geschätzten Beamten, Herren Gemeindeammann Hs. Rudolf Schweizer, Friedensrichter und Capellenpfleger Johannes Schweizer, alt Capellenpfleger und Gemeindrath Hs. Ulrich Schweizer, Seckelmeister Hs. Conrad Näf, Schulmeister und Gemeindrathschreiber Johannes Dübendorfer, alle von Opfickon, ward die E. Bürgerschaft so gut gestimmt, dass die neue Capelle um 15 bis 20 Fuss höher aufgeführt wurde als die vorige, auch mit einem Blitzableiter und 4 Zeittafeln versehen, da die vorige nur 4 hatte......
Sonntags den 3t Wintermonath 1822 ward zum ersten Mahle in der neuen Capelle geläutet und Samstag den 9t Wintermonath Knopf und Fahne mit dem Blitzableiter aufgerichtet.
Möge dieser schöne, der ganzen Gemeinde wahre Ehre machende Capellenthurm bleibenden Segen stiften! Und er wird es, wenn jedes Glockengeläute an den Sonn- und Fest-Tagen in jedes Seele hineinruft: Bethe Gott an! Verehre Deinen Herren Jesum Christum in seinem heiligen Tempel, in deinem häuslichen Kreise, in deinem ganzen Leben. Er wird es, wenn jedes Glockengeläute mit Anbruch des Werktages in unser Herz hineinruft: Alles mit Gott! Fange deine Arbeit mit Gott an, setze sie fort mit Gott und vollende sie mit Gott, so wird sein Segen dich krönen. Jeder Glockenschlag erinnere uns an das Wort des Herrn: Wachet und bethet, denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde der Herr kommt.»

Seine heutige Gestalt
Die in obigem Bericht geschilderten Arbeiten haben dem Turm seine heutige Gestalt gegeben. Er ist also nicht besonders alt, wird aber immerhin bald einmal sein 130. Jahr erreichen. Zudem kann er auf eine lange Ahnengeschichte zurückblicken wie ein auf seinen Stammbaum stolzer Bürger.
Anno 1876 wurde die Turmuhr ersetzt und 1894 der Blitzableiter erneuert. Bei letzterem Anlass erhielt die Kugel folgendes Schriftstück:

Schriftstück vom 1. Juni 1894
«Am 1.Juni 1894, also mit heute, als wir diesen Thurm zur Erstellung des neuen Blitzableiters aufgerüsteten, wurde im ganzen lieben Schweizerland die Mittel-Europäische Zeit eingeführt; in der Nacht vom 31. Mai auf 1. Juni wurden alle Uhren eine halbe Stunde vorwärtsgerichtet.
Es ist dies eine Begebenheit, die wohl darf in diesem Thurmknopf aufbewahrt werden zur spätern Erinnerung an diesen Tag, da es eine halbe Stunde später Nacht würde als bis anhin.
Geht es wieder an die 70 Jahre bis der Blitzableiter und Knopf zur Reparatur kommen, so wünschen wir denjenigen Glück zur Arbeit, recht schönes Wetter und Bürger, wie wir sie angetroffen.»

Schon nach 29 Jahren....
Aber nicht 70, nur 29 Jahre dauerte es, bis man wegen einer Dachreparatur wieder zur Turmspitze aufsteigen musste. Dabei hinterlegten Präsident Heinrich Morf und Schreiber Emil Morf in der Kugel, «dassBehörden wie Einwohnerschaft immer bestrebt war, den Neuerungen Rechnung zu tragen, soviel es die Gemeindefinanzen erlauben konnten».
Dann folgt die Aufzählung einer langen Reihe von Geschehnissen aus damaliger Zeit, welche zur Hauptsache an andern Stellen der vorliegenden Schrift erwähnt sind, so dass wir hier auf deren Wiedergabe verzichten können.

Schriftstück von August 1948
In ähnlicher Weise ist auch ein Schriftstück vom August 1948 abgefasst, unterzeichnet von Präsident Geering, Vizepräsident Güttinger und Schreiber Rebsamen. Es schliesst mit den gegenüber der Zukunft einige Skepsis verratenden Worten:

«Möge es den Gemeindebehörden gelingen, Altes und Neues in harmonischen Einklang zu bringen, damit alle die modernen Errungenschaften der Gemeinde nicht zum Fluch, sondern zum Segen werden.» In unserem Ortsmuseum findet der Besucher grosse Uhrzeiger, welche von der «Chappele» stammen aus der Zeit, da deren Uhr nur Stundenzeiger besass. 1926 wurde sie mit Stunden- und Minutenzeigern ausgerüstet.
In der Erkenntnis «Zeit ist Geld» wollte man nun offenbar auch in Opfikon das Tagesgeschehen nach Minuten, nicht nur nach Stunden einteilen.

Glockenriss
Im Jahre 1952 erhielt die 1828 von der Glockengiesserei Keller in Unterstrass gelieferte Glocke einen gefährlichen Riss. Sie wurde ersetzt durch eine solche von Rüetschi, Aarau, auf Ton d gestimmt, die Aufschrift tragend:

«Die Lebenden rufe ich, die Toten beklage ich.»

Am 6. Dezember 1952 wurde sie aufgezogen, und seither ruft sie uns nach altem Brauch täglich in aller Frühe und abends beim Einnachten, ferner werktags um 11 Uhr, samstags auch um 15 oder 16 Uhr je nach Jahreszeit. Am Sonntag läutet sie das Zeichen zum Kirchgang, und in der Silvesternacht macht sie im Chor all ihrer Schwestern weit und breit eifrig mit. Seit 1875 betreut die Familie Altorfer liebevoll und zuverlässig den Sigristendienst.

1968 gründliche Renovation
Mit einem Kredit im Betrage von 80'000 Franken unterzog man 1968 den Turm einer besonders gründlichen Renovation unter der kundigen Leitung von Architekt Pit Wyss. Wir alle finden, sie sei sehr gut geraten, und haben an unserer «Chappele» nun wieder doppelt Freude. Was aber die Behörde bei diesem Anlass dem «Knopf» anvertraut hat, wird wohl erst eine spätere Generation erfahren, wenn man wieder einmal bis zur Turmspitze vordringen muss.

Die Linde von Glattbrugg
Ausser dem Turm in Opfikon bildete bis 1947 auch eine Linde imposanten Ausmasses – vielen Einwohnern noch in bester Erinnerung – das Wahrzeichen unserer Gemeinde. Sie stand auf einer kleinen Anhöhe an der Giebeleichstrasse, und ihre mächtige, wohlgeformte Krone hob sich, über das Oberhauser Ried von weitem sichtbar, majestätisch vom Horizont ab. Während ihrer Blütezeit verbreitete sie weithin ihren herrlichen Duft, wobei das Gesumme der Insekten um sie herum zu einem sonst kaum gehörten Konzert anschwoll. Der Baum mochte etwa 250 Jahre zählen. Er galt als die schönste Linde unseres Kantons, und der Kreis ihrer Bewunderer reichte weit über unsere Gemeinde hinaus.
Nur einen Fehler hatte sie: Ihr Standort eignete sich als Bauplatz. Diesem Umstand fiel sie zum Opfer, obschon sie unter Naturschutz gestellt worden war. Dieser Sündenfall erregte damals weit herum Wehmut und Empörung. Heute soll er verziehen sein; er möge aber uns alle mahnen, den noch bestehenden Naturschönheiten besondere Pflege angedeihen zu lassen.


Quelle: Opfikon Glattbrugg Oberhausen - Einst und jetzt 1969